Kirchgemeindenachrichten Januar 1988


Blick in die alte Gaußiger Kirche

Im Pfarramt werden drei Fotografien aufbewahrt, die die Gaußiger Kirche in ihrem alten Zustand zeigen. Die Fotografie vom Innenraum ist allerdings so vergilbt, daß eine Klischeeherstellung nicht möglich war. Durch einen glücklichen Umstand haben ehemalige Gaußiger Einwohner eine derartige Fotografie in einer Mappe aufbewahrt, so daß wir diese für unser Kirchenblatt nach 115 Jahren noch vervielfältigen lassen konnten.
Die alte Gaußiger Kirche gehörte mit zu den ältesten der Oberlausitz. In der Mitte des 19. Jahrhunderts bestand unsere Kirchgemeinde aus Sorben und Deutschen. Weil sonntags mehrere Gottesdienste angeboten wurden, konnte die relativ kleine Dorfkirche ihre Aufgaben für unser großes Kirchspiel erfüllen.
Im Laufe der Jahrhunderte ist die Gaußiger Kirche immer wieder erweitert worden. Im Bereich der heutigen Winterkirche liegt wohl ihr ältester Teil. Eine alte Außenaufnahme läßt erkennen, daß 2 Erweiterungen immer in der West-Ost-Achse erfolgten. Die Kirche war daher ungünstig proportioniert.
Der alte Altar, vermutlich eine Arbeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, steht genau an der Stelle des heutigen Altars, der eben nur 7 Stufen erhöht ist. Vor dem Altar befanden sich die Gräber der gräflichen Familie von Neidschütz. Frau von Neidschütz ließ das Schloß in seiner heutigen Gestalt erbauen. Der an der rechten Seite des Titelbildes zu erkennende Epitaph ist eine wertvolle Schnitzerei und dem Andenken des Generalleutnants von Neidschütz gewidmet. Dieser Epitaph befindet sich jetzt im Bautzener Museum. Von den 2 Fahnen ist die eine die Fahne der evangelischen Jugend von Diehmen, bis zur Stunde erhalten.
Vom Altar selbst existiert nur noch eine stark beschädigte Bekrönungsfigur, die den auferstandenen Christus darstellt, sowie 2 Reste der gedrehten Säulen und einige andere Fragmente.

Es muß leider davon ausgegangen werden, daß man in Gaußig mit den überlieferten Altertümern in sträflicher Weise umgegangen ist. Pfarramtsunterlagen zufolge wurde der Altar auf dem Boden der neben dem Pfarrhaus gelegenen Gaußiger Schule untergebracht und dann auf dem neuen Kirchboden. Details von ihm, Bilder und Schnitzfiguren und das Altarkreuz sind wohl als Erinnerungsstücke und als Wertobjekte im Antiquitätenhandel aus Gaußig fortgekommen, ohne daß jemand hinterlassen hätte, wer die einzelnen Bildtafeln des Altars erhalten hat. Der immer wurmstichiger werdende Altaraufbau ist dann wohl nach und nach ein Opfer des Einregnens und der neugierig stöbernden Läutejungen geworden. Bei der Kirchenrenovierung 1976 wurden noch einige Reste geborgen und das andere, weil total vermorscht, kam in die Schuttgrube. Die Christusfigur aber gehörte schon lange zum Inventar des Pfarrhauses.

Die Fotografie läßt noch erkennen, daß auch die Gaußiger Kirche eine mit biblischen Bildern geschmückte Decke hatte. Bis auf 2 Bilder ist alles vernichtet. Ein Golenzer Zimmermann hatte sich aus 2 Bildtafeln der Kirchendecke eine Bodentür gemacht. Diese Bilder sind natürlich dadurch stark beschädigt und bedürfen dringend der Restaurierung. Zu ihrer Erhaltung und um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, laufen gegenwärtig Bemühungen. Vor dem Verkauf ihres Hauses hatte die Tochter des Zimmermanns zugesagt, bei Erstellung einer neuen Tür die alten Bilder der Kirche zu überlassen. Durch die üblichen Schwierigkeiten und die Umgestaltung des jetzigen Hauses hat sich diese Angelegenheit verzögert. Doch hoffen wir auf einen guten Abschluß.

Der Blick auf die Kanzel, das Gestühl und auf die im Gottesdienstraum aufragenden Balken läßt uns noch etwas anderes erkennen. Die Armut der Gaußiger Gemeinde, die sehr häufig wechselnden Inhaber des Kirchenpatronats, ferner Hungerjahre, Kriege und Teuerungen verursachten ungünstige bauliche Verhältnisse der Kirche. Erst durch Carl Graf von Schall-Riaucour wurden diese grundsätzlich verändert. Gemeinsam mit dem damaligen Pfarrer Jäckel und dem Kirchenvorstand wurden die Pläne für einen Kirchenneubau erarbeitet. Da sie sich nun für die wachsende Gemeinde als zu klein erwies, aber auch nicht nach vorn und hinten verlängert werden konnte, beschloß man, sich von der alten Dorfkirche zu trennen und eine neue Saalkirche zu bauen.

Es war auch damals die Zeit, da man modern sein wollte und aus einem Fortschrittsglauben heraus auf die Leistungen der Voreltern herabsah und daher mit deren Erbe nicht zimperlich umging. Namhafte Kunstwissenschaftler haben die Beseitigung der alten Gaußiger Dorfkirche immer wieder bedauert. Doch ihre Bausubstanz war einfach zu erschöpft. Auch ein Gotteshaus gehört zur vergänglichen Welt, und darum ist das Titelbild ein Zeugnis der Vergangenheit und der Vergänglichkeit. Es weist uns aber darauf hin, was durch alle Jahrhunderte in der Geschichte unserer Heimat das Bleibende ist: Jesus Christus - gestern, heute und in Ewigkeit. Sein Segen möge auch uns durch das Jahr 1988 geleiten.

Pfr. Gerd Frey