Kirchgemeindenachrichten 1997


Ein Besuch im Gaußiger Schloß

Eine kleine Bilderserie, die für viele, die in diesem Schloß arbeiteten und es besuchten, manche Erinnerung wecken wird. Keine langweilige Baugeschichte will ich erzählen, sondern einige Begebenheiten und Anekdoten zu den Räumen.
Sehr klassisch geht es im Vorraum zu. Antike Säulen, nicht aus Marmor wie bei den Gründerzeitvillen reicher Bürger, sondern, wie es sich für sparsamen Landadel gehört, aus Holz. Ein sogenanntes ionisches Auge verbindet den Empfangsraum mit dem Obergeschoß. Natürlich will die Lampe nicht passen. Zu anderen Zeiten hing dort ein Kronleuchter, der später wieder dahin kam. Auch hat man die chinesischen Vasen auf ihren Konsolen anders deponiert. Eine große Vase stand einst in der Mitte des Vorraumes. Bei seiner Handwerkstätigkeit hat Tischlermeister Henker aus Versehen aus dem mürbe gewordenen oberen Geländer ein Teil zum Fallen gebracht. Die wertvolle Vase erhielt einen Volltreffer, konnte aber restauriert werden.
Dieser Raum wurde immer karger, aber dennoch macht er dem Besucher einfach Lust, mehr von der vornehmen Atmosphäre des Hauses auf sich wirken zu lassen.
Die Tür zwischen den Säulen öffnete sich zum
Spiegelsaal,
dem eigentlichen Haupt- und Festraum des Schlosses.
Für viele Empfänge und Feste der gräflichen Familie war er der geeignete Rahmen. Der Spiegelsaal wurde um 1804 auf Veranlassung der Gräfin Henriette Schall-Riaucour geschaffen. Früher befand sich an dieser Stelle der sogenannte Gartensaal des Schlosses. Von ihm aus konnte man den Schloßgarten unmittelbar erreichen. Originalgetreu restauriert wurde er in späteren Jahren vom Freundeskreis Musik einer breiten Öffentlichkeit als Ort der Gaußiger Schloßkonzerte bekannt gemacht.
Am 30. November 1991 aus Anlaß des 250-jährigen Jubiläums der Erhebung des Grafen Keyserling in den Reichsgrafenstand und der Überreichung der Goldberg-Variationen durch Johann Sebastian Bach an ihn fand im Spiegelsaal ein Gedenkkonzert statt.
Mit dieser Gedenkfeier konnten wir darauf aufmerksam machen, daß der Spiegelsaal der einzige Ort in der Lausitz ist, wo eine Musik von Johann Sebastian Bach ihre Heimat hat.
Als in unserer Heimat Schule und politische Gemeinde zu Trägern ideologischer Funktionen verändert wurden, wurde in diesem Ambiente, in dem kein christliches Symbol störte, die erste Jugendweihe vollzogen. Selbstverständlich wurde der Spiegelsaal als tauglich befunden, Namensweihen, weitere Jugendweihen und sozialistische Eheschließungen darin durchzuführen. Übrigens: Das erste jugendgeweihte Kind, damals hoch beschenkt, führt heute ein christliches Leben. Der Wert reiner klassizistischer Architektur wird damit nachhaltig unterstrichen. In einer Welt der Disharmonien werden Ideologien und Irrtümer durch reinen Stil in Frage gestellt.
Jagdzimmer
Das Jagdzimmer ist der einzige Raum der unteren Etage, der Fenster zur Park- und zur Gutsseite hat. Seinen Namen hat er von den Jagdtrophäen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in diesen Raum gelangten. Es sind nicht nur Zeugnisse von bemerkenswertem Jagdglück, sondern es gehört auch eine Sammlung bizarrer Geweihformen dazu. Manche Geweihe mit dem Signum A. S. (Adam Schall) kamen nach 1945 in die Schule für Forstwirtschaft nach Tharandt als Anschauungsmaterial.
Dieser Raum spiegelt das tiefe innige Verhältnis von Graf Schall zu seinen Wäldern und der Jagd wieder. Einer seiner Vorfahren, Andreas Riaucour, hatte in Mannheim ein Palais, in dem sich ein Kupferstichkabinett befand. Bei der Auflösung dieses nach dem Tod des Grafen am 28. Oktober 1794 (er ist in der Frauenkirche zu München beigesetzt), mag ein Teil dieser Stiche nach Gaußig gekommen sein. Viele Kupferstiche, die jagdliche Szenen darstellen, unterstreichen die besondere Note dieses Raumes. Als nach der Vertreibung der gräflichen Familie Schloß Gaußig als Refugium für die aus Sowjetrußland heimkehrenden Wissenschaftler gemacht wurde, erfreute sich dieser Raum besonderer Beliebtheit. Hier fanden die gemütlichen Abende, Silvesterfeiern und dergleichen statt. Eines der Professorenkinder schilderte in seinem Buch "Jenseits von Babel", das in Gaußig handelte, die ihn tief berührende Atmosphäre dieses Raumes.
Einer der Grafensöhne hatte als Jux eine kleine gußeiserne Hexe, die an einer Kette befestigt war, in den Kamin gehängt. Sie blieb noch lange erhalten. Über dem Kamin befand sich ein Gemälde des Jesuitenpaters Adam Schall von Bell. Frau Agnes Frenzel, die nach 1945 im Schloß arbeitete, berichtete mir von folgendem Vorfall aus diesem Zimmer: Auf dem Kaminsims befand sich eine Plastik, die die Kindersegnung durch Jesus darstellte. Nach einem Zechgelage von "Arbeiterprofessoren" wurde sich an den religiösen Einrichtungsstücken der gräflichen Familie vergriffen. Auch diese Figurengruppe wurde zerstört. Links neben dem Kapelleneingang wurden die Trümmer dieser Aktion von den verbitterten Schloßangestellten vergraben. Zur Zeit ist dieser Raum angefüllt mit Möbeln aus der oberen Etage und Fundstücken vom Hausumbau.
Im Hintergrund des abgebildeten Zimmers steht vor einem alten Türdurchgang ein Schrank und daneben ist in der Tapete eine Art Geheimtür zu erkennen. Geheimtüren und alte Schränke, die ein Geheimnis bergen, spielen selbstverständlich auch im Gaußiger Schloß eine nicht unerhebliche Rolle. War der König in Gaußig, wurde im Durchgang zwischen Bibliothek und Jagdzimmer eine sorgsam hinter Kupferstichen verborgene "geheime Wendeltreppe" aktiviert. Das Servieren gewisser Kleinigkeiten erfolgte auf diesem amüsanten Weg.
Natürlich hatten sich plötzlich öffnende Wände vor den erschrockenen Augen uneingeweihter Gäste immer einen Vergnügungswert. Manche Schränke freilich hatten es wirklich in sich. So berichten zwei Tagungsteilnehmer, die spät abends in ihr Bett wollten: "Wir dösten noch etwas vor uns hin, wurden aber beide hellwach, als der Schrank sich öffnete. Heraus trat ein Mann in der Kleidung des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Vornehm und streng sah er aus. Hinter ihm verließ eine Frau mit Häubchen, altertümlicher Kleidung und einem gewaltigen Schlüsselbund vor dem Bauch ebenfalls den Schrank. Die beiden machten eine Runde in dem Zimmer und betrachteten die Einrichtung. Nach ausgiebiger Musterung, die Besucher hatten sie keines Blickes gewürdigt, gingen sie wieder in den Schrank, der sich hinter ihnen schloß." Die zwei Besucher waren wissenschaftlich gebildete Menschen und verstanden die Welt nicht mehr. Sie packten ihre Sachen und verließen das Schloß. Nicht ihren Kollegen, wohl aber dem Personal, das in dieser Angelegenheit von ihnen für offener und verständnisvoller eingeschätzt wurde, vertrauten sie dieses stressige Abenteuer an.
Im Porzellanzimmer befindet sich eine Sammlung unterschiedlich wertvoller chinesischer und europäischer Porzellane und Kacheln. Seine Atmosphäre wird durch die Wandvertäfelung, schwere Stoffe und durch die Wahl aufwendiger Wandbespannung bestimmt. Ist der Spiegelsaal ein vortreffliches Raumbeispiel des Klassizismus des 19. Jahrhunderts, so ist das Tellerzimmer geprägt vom Geschmack der Gründerzeit.
Graf Adam war wie viele seiner Vorfahren ein leidenschaftlicher Sammler. Kupferstichen und Gemälden galt seine besondere Aufmerksamkeit. Aber auch Funde aus der Frühgeschichte unserer Heimat, die bei Feld- oder Bauarbeiten gemacht wurden, ließ er im Schloß in extra dafür hergestellten Vitrinen unterbringen. Das Tellerzimmer erinnert in besonderer Weise an ein Sammelgebiet, das dem berühmtesten Träger des Namens Schall gewidmet war.
Johann Adam Schall von Bell S.J., der von 1592 bis 1666 vor allem in China lebte. Ihm wurde am 2. Februar 1658 der Titel "Hoher Würdenträger der Kaiserlichen Bankette" (Kuang-lu-ta-fü) verliehen. Er war damit ein Mandarin 1. Klasse der Abteilung a geworden. Nur die allerhöchsten Beamten und die vornehmsten kaiserlichen Prinzen ge-hörten dieser Mandarinenklasse an. Als Abzeichen trug er fortan einen roten Edelstein als Knopf seines Mandarinenhutes und ein Brustschild mit dem Bild eines Kranichs. Nach einer chinesischen Sitte wurden drei Generationen Schall rückwirkend geadelt. Sein Urgroßvater Johann erhielt den Namen Tu-lu und der Großvater den Namen Yü-han, der dem deutschen Johann gut nachempfunden wurde. Sein Vater erhielt in der chinesischen Adelshierarchie den Namen Li-kuo, "Dem Lande nützlich". Graf Adam hatte sich eingehend mit dieser Persönlichkeit befaßt. Er versuchte, Erinnerungsstücke und Zeitdokumente über den Pater Schall zu sammeln. So ist das Tellerzimmer Ausdruck dieses Bemühens. Immer wieder kamen aus wissenschaftlich und religiös interessierten Kreisen Anfragen an die Schloßverwaltung, Pater Schall betreffend. Die sogenannten Chinakabinette, die wir in vielen Schlössern antreffen, zeigen uns in künstlerischer und dekorativer Form die Achtung der deutschen Aufklärung vor der chinesischen Kultur. In dieser friedliche Begegnung der Kulturen ist die Person des Adam Schall von Bell eine wichtige Identifikationsfigur, die viele europäische Künstler inspirierte.
So ist der Durchgangsraum zur Schloßkapelle wohl nicht zufällig mit Porzellanbeispielen aus China und "Delfter Kacheln" geschmückt, die in der Heimat von Pater Schall in Gebrauch waren. An die Zusammengehörigkeit von geistlichem Auftrag und geschichtlicher Stellung wird auf diese Weise sinnvoll erinnert.

Pfr. Gerd Frey