Kirchgemeindenachrichten März 1986

Zum Pfarrhaus

Im Jahre 1376 wurde für Gaußig zum ersten Mal ein Geistlicher erwähnt. Da Gaußig damals Filiale von Göda war, ist nicht ganz sicher, ob dieser Geistliche in Gaußig seinen Wohnsitz hatte. Die erste urkundliche Erwähnung des Pfarrhauses ist enthalten im Testament des Pfarrers Lukas Jentzsch. Vom 17. Oktober 1576 ist sein Testament datiert. Er schrieb es nieder in der "Pfarrstube". Dieses Testament ist im Domstiftarchiv erhalten. Der Standort des von L. Jentzsch bewohnten Pfarrhauses war sicher schon das heutige Pfarrgrundstück. Die Eigentümer von Schloß Gaußig hatten bis zum Jahre 1915 die Verantwortung für Erhaltung und Bau der kirchlichen Gebäude zu tragen.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts besaß Heinrich Reichsgraf von Brühl das Schloß Gaußig. Er war hier nur 3 Jahre. Am 2. Januar 1750 wurden die Güter Gaußig, Klein-Gaußig, Brösang, Diehmen, Golenz und Günthersdorf für einen Kaufpreis von 52000 Talern an Herrn Karl Reichsgraf von Keyserling verkauft. 1751 wurde unter diesem Kirchenpatronat und unter dem aus Dretschen stammenden Pfarrer Andreas Noack der Neubau des Pfarrhauses durchgeführt. Die Bauarbeiten wurden relativ schnell beendet, denn vom Jahre 1751 ist im Pfarrhaus ein Abendmahlskelch aufbewahrt mit dem Wappen des Grafen Keyserling. Dieser aus Kurland stammende Adlige hat sich im Unterschied zum Grafen Brühl wohl eher bereit erklärt, seinen finanziellen Beitrag zum Pfarrhausneubau zu leisten.
  Unter Verwendung alter Bausubstanz wurde dann das Pfarrhaus repräsentativ, aber sparsam errichtet. Es ist erstaunlich, auf wieviel zugemauerte und neugeöffnete Türen man trifft. Der Treppenaufgang muß damals völlig anders gewesen sein. Er führte nicht an der Wand entlang, sondern vermutlich in die Mitte der heutigen Diele. Auch der Aufgang zu dem geräumigen Boden war anders als über die schmale, steile Treppe. Die Dachkonstruktion läßt auf einen anderen Aufgang schließen. Im Jahre 1904 wurde das Pfarrhaus mit Ziegeln gedeckt und mit neuem Wandputz versehen. 1886 erfolgte der Einbau höherer Türen. 1902 wurden Gipsdielenwände in Zimmern angebracht, die besonders unter der Feuchtigkeit litten. Pfarrer Pahler ließ Bad, WC und eine Kläranlage bauen. Die Küche des Pfarrhauses verlegte er vom Erdgeschoß in die obere Etage. Über 30 Jahre wohnte die Familie Steglich als Mieter im Pfarrhaus. Die nun freigewordenen Räume werden wie folgt verteilt: Das bisher in der ersten Etage gelegene Amtszimmer wird ins Erdgeschoß verlegt, rechts neben dem Eingang. Hinter dem Amtszimmer wird das Büro sein. Der jetzige Büroraum wird umgestaltet zu einem Unterrichtsraum, und in der ehemaligen Küche des Pfarrhauses werden ein Bad und ein WC eingerichtet. Dadurch bekommt die Pfarrersfamilie eine abgeschlossene Wohnung, ein Unterrichtsraum kann vorerst eingerichtet werden, und die sanitären Verhältnisse verbessern sich auch entscheidend.

(Und Juni 2001 lesen wir:)

In diesem Jahr wird das Gaußiger Pfarrhaus 250 Jahre alt. Dieser Bau war gleichsam Einstand des Grafen Carl Hermann Keyserling, der ab 1. Januar 1750 Herr auf Gaußig war. Dieses Herrsein war nicht nur eine Privatangelegenheit, sondern bestand auch aus einer Vielzahl von Pflichten. Dazu gehörte die Sorge um das kirchliche Leben und Eigentum. Das Kirchenpatronat war mit dem Besitz des Gutes Gaußig verbunden und hatte für die äußere Erhaltung und Wohlfahrt des Kirchenwesens zu sorgen. ...
Kurz vor Amtsantritt des ersten evangelischen Pfarrers in Gaußig 1619 wurden große Teile des Kirchengutes vom damaligen Gödaer Pfarrer, der dem Gaußiger übergeordnet war, an den Schlossherren verkauft. Ihm war es wichtig, dass Gaußig, als nunmehr selbstständige Kirchgemeinde, klein und unbedeutend blieb. Die damalige Gaußiger Kirche muß man sich ähnlich vorstellen wie die heutige Kirche Pohla. Vom Pfarrhaus finden sich aus der alten Zeit nur zwei Notizen: Es ist nachweisbar, dass Pfarrer seit 1376 in Gaußig wohnen und 1576 wurde im Pfarrhaus ein Testament aufgesetzt und eine Pfarrstube ausdrücklich erwähnt. 1648 brannte das damalige Pfarrhaus nieder und wurde nur notdürftig wieder aufgebaut. Im 17. Jahrhundert amtierten in Gaußig neun Pfarrer. Schon dies zeigt, dass die Pfarrstelle arm war und eher als Sprungbrett für eine kirchliche Karriere genutzt wurde. Unter dem Pfarrer Johannes Richter, der von 1690 bis 1706 amtierte und aus Nostitz stammte, vergrößerte sich die Gaußiger Parochie erheblich. Schlungwitz und Gnaschwitz gehörten nun kirchlich zu Gaußig. Damit hatte die Gemeinde eine vernünftige Größe erreicht. Im gesamten 18. Jahrhundert wurde Gaußig von einer Pfarrfamilie betreut. Matthäus Reinisch verehelichte seine Tochter mit Pfarrer Andreas Noack aus Dretschen und nach dessen Tod folgte sein Sohn Gottlob Ehrenfried Noack im Pfarramte.
  Unter Andreas Noack wurde das jetzige Gaußiger Pfarrhaus errichtet. Schon Graf Brühl wurde beständig mit Bitten bestürmt, aber seine Interessen lagen anders. Das Pfarrhaus weist einige Besonderheiten auf. Normalerweise wurden an der Vorderseite 7 Fenster projektiert, in Gaußig nur 6. Dem Geschick der Erbauer ist es zu danken, dass trotz dieser Disharmonie das Haus symmetrisch wirkt. Teile des Vorgängerbaus wurden mit einbezogen.
Im 19. Jahrhundert wurde dann das Pfarrhaus unter den Pfarrern Jäckel und Miethe im Inneren vollkommen umgebaut und damit verbaut. Lässt man die äußere Erscheinung auf sich wirken, ist man beim Eintreten enttäuscht. Es gibt keine Großzügigkeit und auch die Treppenaufgänge bis zum Boden sind nicht im Original erhalten. Bei der großen Renovierung 1886 wurden alle barocken Gestaltungselemente im Inneren entfernt. Dies betraf besonders Decken und Türen. Der Kamin wurde mit Gipskarton ausgekleidet und als Kohlebunker genutzt. Von der Innenausstattung an Mobiliar hat sich fast nichts erhalten. Obwohl manche Pfarrer stilvolle Amtszimmer hinterließen, fielen diese immer wieder Aufräumaktionen und Versteigerungen zum Opfer. Unter Pfarrer Pahler wurde ein Bad und WC um 1955 eingebaut. Damit entfiel der Weg über den Hof und die abenteuerliche Toilettenanlage, die sich an der Giebelwand in Richtung heutige Pfarrgasse erstreckte. 1856 wurde das jetzige Gemeindehaus als Wirtschaftsgebäude errichtet und 1860 ein Teil des Pfarrgartens als Schulstandort genutzt. In diesem Bereich befand sich auch der Brunnen des Pfarrhauses. Dieser wurde 1899 mit der alten Schule an die Familie Wolf verkauft. Da es als sicher galt, dass der Graf dem Gaußiger Pfarrer immer das Wasser zur Verfügung stellen wird, wurde auf die Neuanlage eines Brunnens verzichtet, mit dem Ergebnis, dass heute auf Kirche und Pfarrgrundstück hohe Wasserkosten entfallen.
1898 wurde der Versuch der damaligen Gräfin Schall-Riaucour vereitelt, den Pfarrer aus dem Pfarrhaus hinaus in die nunmehr frei gewordene Schule umzusetzen.

Für eine Kirchgemeinde ist natürlich das Gotteshaus das wichtigste Gebäude. So wurden im 20.Jahrhundert viele Pfarrhäuser aus Geldmangel vernachlässigt. Ein Provisorium löste das andere ab. Durch die Vertreibungen zwischen 1944 und 1946 war auch das Gaußiger Pfarrhaus kurzzeitig von fünf Mietparteien bewohnt. Es war nicht immer einfach, allen gerechten Zugang zur einzigen Küchenherdstelle zu schaffen. Bedingt durch die Wohnungsnot wurde auch das Pfarrhaus der kommunalen Wohnungsbewirtschaftung ausgesetzt. Im Erdgeschoss wohnte dann für viele Jahre das Ehepaar Gustav und Dora Steglich, die sich in einer guten Weise an das Leben im Pfarrhaus anpassten. Über sie drangen keine Nachrichten, die das Privatleben des Pfarrers zum Inhalt hatten, in das Dorf.   Da Pfarrhäuser immer mit einem gewissen Bestand an Personal funktionierten und dieses dann wegfiel, übernahm das Ehepaar Steglich vieles an Haus- und Hofarbeiten, bis hin zum Beaufsichtigen des Nachwuchses. Durch ihren Tod konnte dann das Pfarrhaus in seiner jetzigen Raumaufteilung genutzt werden. Von den drei Räumen der Erdgeschosswohnung wird das eine für Verwaltungsaufgaben genutzt und das andere als Amtszimmer für den Pfarrer. Nach der Wende 1991 erfolgte der Einbau der Heizung.
Der Dachstuhl ist noch original aus dem Jahre 1751 erhalten und auch die Dachziegel sind von ausgezeichneter Qualität. Da beständig Kleinreparaturen durch die Umsicht der Kirchenvorsteher durchgeführt wurden und das Pfarrhaus auch nicht übertrieben dimensioniert ist, ist es auch in unseren modernen Zeiten ohne Schwierigkeiten bewohn- und bezahlbar.
Irgendwann einmal, aber nicht zu Amtszeiten des jetzigen Pfarrers, wäre es vielleicht angebracht, im Inneren des Pfarrhauses die barocken Strukturen wieder stärker zur Geltung zu bringen.

Pfr. Gerd Frey