Kirchgemeindenachrichten 1987/88


Pater Adam Schall


Die abgebildete Zeichnung stammt von einem chinesischen Künstler aus dem 17. Jahrhundert. Sie stellt den in Peking tätigen Direktor des astronomischen Amtes in der Tracht eines chinesischen Mandarins der 1.Klasse dar. Dieser war der Jesuit Adam von Schall und Bell. Niemals vor ihm und nach ihm hat ein Europäer ein solches Ansehen bei den chinesischen Kaisern genossen. Er gehörte zu den großen Männern, die aus ihrer tiefen christlichen Frömmigkeit die Brücke zwischen den Kulturen schlugen.

 

Um in China das Evangelium predigen zu können, gaben sich die Jesuiten große Mühe, den sehr selbstbewußten Chinesen zu verdeutlichen, daß neben ihrer alten und hohen Kultur es auch noch andere Entwicklungen gab, die man im "Reich der Mitte" annehmen und akzeptieren konnte. So haben Jesuiten der Chinamission als Künstler, Mechaniker und Astronomen Großartiges geleistet und damit viele gebildete Chinesen aufmerksam gemacht auf das, wovon ihr Herz voll war, auf Jesus Christus. Gerade wenn in unserer Zeit die Völker näher rücken, ist es schön zu wissen, daß es zwischen unserem Ort und dem fernen China einen winzigen Berührungspunkt gibt, der mit diesem Mann zusammenhängt.
Durch die Heirat des Grafen Karl von Schall mit Henriette von Riaucour, vor 200 Jahren, wurden aus den veräußerten Gütern der Familie Schall, im Rheinland, Erinnerungsstücke und Bildnisse des großen Verwandten nach Gaußig gebracht und verblieben hier bis zum Kriegsende. Als 1936 zur Olympiade in Berlin eine Ausstellung über "Große Deutsche" durchgeführt wurde, wurde neben Bildern, die Dürer, Luther, Goethe u. a. darstellten, aus Gaußig auch ein großes Ölgemälde von Pater Adam nach Berlin geholt. Herkunft: 1150 ist ein Hausbesitzer in Köln mit Namen Rupert Schalle nachweisbar. Einer seiner Nachkommen heiratete die Tochter eines Adligen und erwarb das Gut Horbell, daher der Name Schall und Bell. Um 1350 ist ein Ritter Heinrich Schall von Horbell nachgewiesen. Seine Söhne werden 1411 unter Kurkölnischen Adligen aufgeführt.


Durch Kauf von Gütern gewinnt diese Familie immer mehr an Einfluß und gerät in Fehde mit der Stadt Köln. 1419 erstürmen die Kölner die Burg Vorst, weii ein Johann Schall von Bell von dort Raubzüge unternahm. Seit dem 16. Jahrhundert existieren von dieser Familie zwei Linien. Pater Adam wurde in der Nähe der Apostelkirche in Köln geboren. Seine Familie rechnete man damals bereits zum alten Adel. Im Hochadligen Damenstift der Stadt ist der Name Schall von Bell dreimal belegt. Auch drei Deutschherren gehörten zur Familie. Philipp Schall von Bell war Komtur zu Marienburg in Livland und Landmarschall der Livländischen Ritter. Er wird als einer der letzten großen Ordensritter geschildert. Am 2.8. 1560 warf er sich mit einer kleinen Ritterschar dem Heere Iwans des Schrecklichen entgegen. Er unterlag dem Feind. Wegen seiner Tapferkeit verwendete sich für ihn der russische Heerführer Michael Kurbski. Aber der Zar ließ ihn, seinen jüngeren Bruder Gabriel von Schall und Bell und andere Adlige in Moskau hinrichten. Damit war die Herrschaft des Deutschherrenordens im Baltikum vollkommen vernichtet. Aus dieser strebsamen und wehrhaften Familie stammt Pater Adam. Sein Jähzorn, der ihn auch nicht als Mann der Kirche verließ, mag durch die Geschichte seiner Familie verstehbar sein. Die alten Familienarchive sind verschollen. Aber bekannt ist, daß er in der führenden Jesuitenschule am Niederrhein, dem Dreikronengymnasium in Köln, unterrichtet wurde. Dort war unter seinen Schulkameraden auch Friedrich von Spee, der spätere Streiter gegen die Hexenprozesse. Von guten Lehrern lernte er Sprachen. Hierin erwies er sich als sehr begabt. 1607, in Köln wütete die Pest, entschloß er sich für den geistlichen Stand. Da sein Bruder Domherr wurde, erlosch diese Familie im Mannesstamm.

 

Das Erbe fiel an den anderen Zweig dieser rheinischen Familie. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts war aller Landbesitz der Familie Schall veräußert. Die Familienüberlieferung wurde seitdem in Gaußig aufbewahrt.
Ein Observatorium wurde 1634 von den Jesuiten-Missionaren Schall und Rho in dem Bereich des Kaiserpalastes aufgestellt. In dem Bemühen, den christlichen Glauben in China zu verbreiten, wandten sich die begabten Missionare in besonderer Weise der Astronomie zu, um damit bei der chinesischen Bildungsschicht dem Evangelium eine Tür zu öffnen. Die jährliche Veröffentlichung des Kalenders war in China ein besonders devot und feierlich begangener Staatsakt. Mittels eines komplizierten Deutesystems wurden die astronomischen Vorgänge als Richtschnur des gesellschaftlichen Seins ausgelegt. Aber die chinesische Kalendertradition erwies sich als fehlerhaft. Auch die in Peking wirkenden Astronomen der mohammedanischen Schule konnten über den Zeitpunkt wichtiger Konstellationen und Verfinsterungen keine sicheren Aussagen machen. Damit hatten die Jesuiten die Gelegenheit, moderne europäische Astronomie in China einzuführen. Sie gingen dabei taktvoll zu Werke.
Soweit es möglich war, rühmten und schonten sie die chinesische Tradition. Schall und sein Gefährte, Pater Rho, übersetzten und bearbeiteten europäische astronomische Werke. 1635 erscheint in China, als Frucht dieser Mühe, ein 150 Bändchen umfassendes Sammelwerk. Am 2.2.1634 darf Schall dem Kaiser astronomische Geräte schenken und sie selbst in der verbotenen Stadt aufstellen. Mit ihnen beobachtet der Kaiser im Januar 1638 eine Sonnenfinsternis. Viele dieser astronomischen Geräte hatte Schall selbst hergestellt.


Sein Mitarbeiter und Nachfolger, Ferdinand Verbiest, publizierte sie im Jahre 1697 erstmals in den Schriften "Novissima Sinica". Ob sie in China noch existieren, kann nicht gesagt werden. Nachdem von europäischen, besonders deutschen Truppen, der "Boxeraufstand", so genannt nach ihrem Symbol, 1900 niedergeschlagen wurde, kamen die verbliebenen astronomischen Geräte zu gleichen Teilen nach Paris und Potsdam. Nach dem ersten Weltkrieg mußten die in Deutschland befindlichen Geräte an China zurückgegeben werden.

Das Bild zeigt den chinesischen Kaiser Shun-chih, der vor 350 Jahren am 15. März 1638 geboren wurde, mit dem Jesuiten-Pater Adam von Schall und Bell. Dieser erklärt ihm ein astronomisches Problem. Es ist ein Phantasiegemälde, welches die enge Beziehung zwischen dem jugendlichen Kaiser und dem christlichen Missionar verdeutlichen soll. Das Photo stellte die Photothek des Staatsarchives Dresden bereit. Das Original ist durch die Kriegswirren aus Gaußig fortgekommen.

 

Am 1. Februar 1651 erfolgte der Regierungsantritt dieses Kaisers. Pater Adam war damals 59 Jahre. Er war auf der Höhe seiner Kraft und seines Schaffens. Erst seit 7 Jahren wurde das chinesische Reich von den Mandschu, einem Volk aus dem heutigen NO Chinas, beherrscht. Viele Jahre regierte für den unmündigen Kaiser ein Kronrat unter dessen Onkel.
Schon sehr zeitig mag der kluge, aufgeweckte Knabe etwas von Hofintrigen und Machthunger seiner Umgebung gespürt haben. Als 13jähriger befreite er sich mit harter Hand von den bisherigen Regenten und ihrer Politik. Schall schilderte ihn als begabt, gutmütig und frühreif; mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl. Shun-chih hörte auf guten Rat, war aber schlechten Einflüssen leicht zugänglich, über dem Sport konnte er seine Pflichten vergessen, besonders wenn ihn das Jagdfieber packte. Törichte Pläne konnte er mit jugendlichem Eigensinn führen, und im Zorn tobte er wie ein Wahnsinniger. Hervorstechende negative Eigenschaften waren seine starke Sinnlichkeit und Aberglaube.
Ein Kaiser, von vielen umschmeichelt, kann ein sehr schlecht beratener, einsamer Mann sein. Es spricht für Shun-chih, daß er nicht als Jugendlicher in Maßlosigkeit verfiel, sondern sich in Pater Adam, nach sorgfältigen Erwägungen, einen Mann seines Vertrauens erwählte. Die hohe Kenntnis, Geradheit und der einwandfreie moralische Lebenswandel des Jesuiten waren dafür ausschlaggebend.


Er nannte ihn "Ma-fa" - ehrwürdiger Vater. Schall versuchte, den Einfluß der Lama-Bonzen zurückzudrängen. Auch wies er den Kaiser immer wieder auf Notwendigkeiten seines Amtes hin. Viele Gespräche führten der Kaiser und sein väterlicher Freund. Pater Adam berichtete ihm von Europa, den dortigen Verhältnissen und Lebensgewohnheiten. Er hatte, was vorher kaum möglich war, beständigen Zutritt zum Kaiser, ohne sich dem umständlichen chinesischen Zeremoniell zu unterwerfen.
Der Kaiser war ihm auch sehr dankbar für alle Kritik seines Lebenswandels und der Regierungsweise, die ihm der Pater offen zuteil werden ließ. Als 1652 der Dalai-Lama, das geistliche Oberhaupt von Tibet, nach Peking kam, hielt sich der Kaiser bei diesem heidnischen Religionsfest sehr zurück. Pater Schall hoffte, den Kaiser zum christlichen Glauben zu bekehren. Bei seiner Bekehrungsmethode baute er auf natürliche Religion und Sittlichkeit auf. Die Bedeutung der 10 Gebote nahm in der Diskussion im Kaiserpalast großen Raum ein. Auch innerlich wurde der Kaiser vom christlichen Glauben ergriffen. Bilder vom Leiden Christi wurden vom Kaiser kniefällig verehrt, wie auch die Gegenwart Christi im Heiligen Sakrament.
Pater Adam schrieb: "Literaten hielten in ihrem angeborenen Stolz für Torheit, was unser Erlöser für uns gelitten hat, oder hörten nur unaufmerksam zu oder spotteten darüber.
Aber dieser große Monarch warf sich mit solcher Demut auf die Knie und lauschte meinen Worten mit solcher Rührung, daß ich nur mit Mühe die Tränen erwehren konnte." Dennoch vollzog der Kaiser nicht den entscheidenden Glaubensschritt. Zu tief hatten ihn seine Leidenschaften in Unzuchtsünden verstrickt. Zu Lichtmeß 1658 beförderte er Schall zum Mandarin erster Klasse. Er feierte, für einen chinesischen Kaiser ungewöhnlich, seinen Geburtstag in der Jesuiten-Residenz in Peking. Dort ließ er auch, nur aus Spaß, vor der Haustür ein Elefantenwettrennen veranstalten.

 

Als 1656 eine holländische Gesandtschaft in Peking weilte, sahen sie mit Erstaunen bei dem Kaiser den Jesuiten sitzen, der vom Holländischen ins Chinesische dolmetschte. Da Pater Adam für bilderstürmisches Christentum, wie es in der holländischen Reformation erfolgte, nicht viel übrig hatte, wurde diese Gesandtschaft höflich und glatt behandelt. Ein Zeitgenosse schrieb:
"Schall vermag durch seinen Einfluß auf den Kaiser mehr als irgend ein Vize-König oder irgend ein noch so angesehener Prinz. Der Name des Pater Adam ist in China besser bekannt, als der Name irgend eines berühmten Mannes in Europa."
Durch persönliches Unglück 1660 starben Shun-chihs Kind und Frau aus einem Ehebruchverhältnis. In der Trauerzeremonie, in der sich über 30 Diener dieser Frau das Leben nehmen mußten und wo die Trauergäste durch die religiösen Riten in Trance verfielen, traten die abergläubischen Züge seines Wesens deutlich hervor. Er wurde völlig von heidnischen Priestern abhängig, er wollte Mönch werden.
Pater Adam und die Kaiserin Mutter konnten dies gerade noch verhindern. Durch seine ausschweifende Lebensweise ließen die körperlichen Kräfte nach. Der Kaiser bekam Blattern. Dem sterbenden Kaiser half Pater Adam bei der Regelung der Thronfolge. Trotz seines letzten Versuches, durch Belehrung über Tod und Ewigkeit (ewiges Leben) die Seele des Kaisers zu retten, verschob dieser seinen Schritt zu Christus. Am 6.2.1661 starb Shun-chih, von Pater Adam tief betrauert.


Als 1658 Pater Adam zum Mandarin Erster Klasse ernannt wurde, wurden nach chinesischer Gewohnheit, rückwirkend, auch Schalls Eltern, Großeltern und Urgroßeltern mit der Mandarinenwürde geehrt. So erhielt z. B. der längst verstorbene Urgroßvater des Missionars, Johann Schall von Bell zu Waldorf, Gleuel und Morenhoven, den chinesischen Ehrennamen Tu-lu. Die Mandarinenwürde ist erblich. Und daher kam dieser Titel, durch die Verbindung der Familie Schall mit der Familie Riaucour, nach Gaußig.
Wenn wir Schlösser und Parkanlagen besichtigen, z. B. in Dessau, Potsdam oder Pillnitz, so fällt uns auf, daß vor 250 Jahren chinesische Kultur in Europa war. Porzellansammlungen, Teehäuser im chinesischen Stil, Figuren, bis hin zu Kleidungsstücken und Landschaftsgestaltungen wurden von adligen Europäern dem Chinesischen nachempfunden. Galt doch der Chinesische Kulturkreis dem europäischen für ebenbürtig. Leibniz, der wohl größte Gelehrte seiner Zeit in Deutschland, meinte sogar, daß die Chinesen nach Europa Missionare entsenden sollten, die uns in natürlicher Moral und Religion unterrichten sollten.

 

Über Frankreich liefen damals viele Beziehungen nach China. Jesuitenmissionare vermittelten zwischen Ludwig XIV., dem Sonnenkönig, und dem chinesischen Kaiser Kang-hsi. Dieser Kaiser galt in der damaligen Zeit als Vorbild für einen tugendhaften, gebildeten und toleranten Herrscher. Dieser Kaiser wurde auf den Rat Adam Schalls SJ aus der Schar der möglichen Thronbewerber erwählt. Nachdem Schall in Ungnade gefallen war und in China starb, ehrte ihn dieser jugendliche Kaiser durch ein nachträgliches Staatsbegräbnis und stiftete ihm einen Grabstein.
Über dem Lebenswerk der Jesuiten begann sich das Interesse der europäischen Geisteswelt zu entfalten. In seinen Veröffentlichungen über China trat Leibniz für den Gedankenaustausch der höchsten technischen Zivilisationen der Menschheit ein. In den damals weltberühmten Manufakturen von Beauvais wurden, dem künstlerischen Zeitgefühl entsprechend, aus Wolle und Seide eine Serie von acht Gobelins mit chinesischen Motiven geschaffen. Das Bild zeigt den Gobelin "Les astronomes" (die Astronomen), der den bärtigen Adam Schall in der Mitte von chinesischen Hofastronomen zeigt. Um 1700 entstand dieses Werk und wird heute im Residenzmuseum zu München aufbewahrt. Wenn wir daher im Urlaub auf die Spuren einer alten China-Begeisterung stoßen in Schlössern und Museen, so hat an deren Zustandekommen Pater Adam Schall einen wesentlichen Anteil.


Pfr. Gerd Frey