Gemeindenachrichten Februar 1992

Über die Schloßkapelle in Gaußig

Zu den beachtenswerten Gebäuden in unserer Gemeinde zählt die Schloßkapelle. In gewisser Hinsicht kann man sie als ein bauliches Kleinod bezeichnen. Immerhin besichtigten schon viele Einwohner und Gäste der Gemeinde Gaußig mit sichtlichem Interesse ihr Inneres, ja, selbst nicht wenige Reisegruppen hatten in den vergangenen Jahren den Kapellenbesuch zu einem ihrer Programmpunkte gewählt. Auch fanden in der Schloßkapelle neben den regelmäßigen römisch-katholischen Gottesdiensten und einzelnen Andachten, Trauungen und Taufen schon evangelisch-lutherische Gottesdienste - vornehmlich gehalten von Herrn Pfarrer Frey - statt. Im vorigen Jahrhundert bestand eine Saalkapelle im Schloß. Der Grundstein zur jetzigen Kapelle wurde 1894 im Auftrage der damaligen gräflichen Familie von Schall-Riaucour durch den Apostolischen Administrator und Bautzener Domdekan, Bischof Ludwig Wahl, gelegt. Dieser konnte bereits ein Jahr später - am 28. Mai 1895 - die Einweihung vollziehen.
Über die Abtei Emmaus in Prag war der Kontakt zu den Benediktinern und deren Kunstrichtung, die "Beuroner Schule", gegeben. Daher ist die Kapelle in diesem Stil erbaut.
Über dem Eingang befindet sich neben einem schönen Herz-Jesu-Bild ein bemerkenswertes Mosaikbild von Maria, der Gottesmutter und Immerwährenden Hilfe, der die Kapelle geweiht ist und deren Bild wir auch im Innern des Gebäudes begegnen. Die dort hängende Kopie ist die originalgetreue Nachbildung eines Geschenkes von Papst Pius IX. an die Grafenfamilie.
Ein besonderes Kleinod in der Schloßkapelle ist der dreiteilige gotische Flügelaltar, der über 500 Jahre alt ist. Der Künstler, der ihn geschaffen hat, ist namentlich nicht bekannt, er soll in Süddeutschland gewirkt haben (?, auch von Kamenzer Schule ist die Rede). Im Mittelschrein des Flügelaltares stehen als Schnitzfiguren die Gottesmutter, St. Katharina und St. Barbara.
Auf den vier seitlichen Bildtafeln mit Goldgrund sind zwei das Allerheiligste in der Monstranz anbetende Engel, die das göttliche Kind verehrenden drei Weisen aus dem Morgenland. St. Sebastian bei seinem Martyrium und St. Georg bei seinem Kampf gegen den satanischen Drachen dargestellt. Die genannten Heiligen sollen für die Gläubigen Vorbilder in der Bewahrung und Bezeugung des Glaubens an Gott sowie Fürsprecher bei ihm im Himmel sein.
Der Flügelaltar soll von Peter von Gusk Anfang des 15. Jahrhunderts für die damalig noch katholische Kirche in Gaußig gestiftet worden sein. 1873 kam er bei der Errichtung der neuen Kirche zur Aufbewahrung in das Kapellenzimmer im Innern des Schlosses, dann 1895 in die jetzige Schloßkapelle (Geschenk der evang. Gemeinde zur Einweihung). Der Hochaltar aus Marmor ist im Beuroner Stil ausgeführt. Beachtenswert an ihm sind die reliefartige Ornamentik, die Säulen und farbliche Gestaltung.
Oben am Haupt-Altar steht unter einem kleinen Baldachin aus Carrara-Marmor, einem besonderen und kostbaren Werkstoff, ein bemerkenswertes Kreuz mit dem Corpus des leidenden Christus; es stellt für die Gläubigen das Zeichen der Erlösung und des Heiles dar. Ursprünglich sollte statt des Kreuzes eine Monstranz aufgestellt werden.
Die drei sehr schön gestalteten Fenster im Altarraum, deren Farben besonders bei durchscheinendem Sonnenlicht intensiv aufleuchten, zeigen in der Mitte Maria mit dem Jesuskind und seitlich den hl. Josef (Namenspatron des Vaters der Gräfin) und den hl. Karl Borromäus (Namenspatron des verstorbenen Gatten der Gräfin.)
Eine beachtenswert gut aus Holz geschnitzte Kreuzigungsgruppe über der Eingangstür im Inneren der Kapelle stellt neben dem Gekreuzigten seine Mutter Maria und den Lieblingsjünger Johannes dar. Betrachtenswert sind auch die reliefartig gestalteten vierzehn Kreuzigungstationen aus besonderem Gipsmaterial, von denen je sieben an zwei Seitenwänden hängen, ferner das Schnitzwerk an den Bänken sowie der Sakristeischrank. Nach 1945 war das Schloß in das Eigentum der Technischen Universität Dresden überführt worden. Diese überließ 1951 die Kapelle laut Vertrag dem katholischen Bautzener Pfarramt "Unserer Lieben Frau" zur Nutzung. Von 1945 bis 1955 betreuten hier in Gaußig wohnende katholische Umsiedlerpfarrer die Gläubigen, von denen ein großer Teil aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten stammte; der letzte dieser katholischen Priester hier war Pfarrer Joseph Jung, der 1955 im Klosterstift St. Marienthal verstarb. Danach kamen sonntags zum Feiern des Gottesdienstes Geistliche aus Bautzen. Von den katholischen Bischöfen des ehemaligen Bistums Meißen hielten in der Schloßkapelle die Bischöfe Heinrich Wienken und Bischof Dr.Otto Spülbeck Gottesdienste. Jetzt gehört die Kapelle zum Seelsorgebereich des Katholischen Dompfarramtes Bautzen. Die Sonntagsgottesdienste werden im Wechsel von Geistlichen als Eucharistiefeiern und von Diakonatshelfern als Wortgottesdienste mit Predigt gehalten. Einen solchen Dienst habe auch ich hier in der Kapelle zu versehen. Ich glaube sagen zu dürfen, daß sich die katholischen Gläubigen und auch die Gäste in der Schloßkapelle bisher wohlgefühlt und diese gern als Gottesdienst- und Gebetsstätte hier in Gaußig besucht haben. Deren hundertjähriges Bestehen möchten wir, wenn Gott will, 1995 begehen können.

Peter Körner, 1992


Ergänzungen 1995 - Anlass: 100-jähriges Bestehen

Im Prager Kloster Emmaus wurden Skizzen für die künftige Kapelle entworfen, die aber zunächst der Gräfin nicht zusagten. Sie schlug dann für den Grundriß die Kreuzform vor. Der Klosterabt selber kam nach Gaußig und brachte einen Pater als Bauleiter mit. Die Baupläne führte aber ein kunstsachverständiger Bruder von dem Kloster aus.
Der Bau wurde am 8.März 1894 begonnen, der Grundstein dann am 28. April des gleichen Jahres gelegt. Zu letzterem kam der damalige Apostolische Administrator und Domdekan von Bautzen, Bischof Ludwig Wahl, mit drei Domherren nach Gaußig, wo er hier die Weihe vornahm. Der Bauplatz "war mit Fahnen und Pflanzen reizend geschmückt" und mit einem Altar versehen worden. Wegen strömenden Regens an diesem Tage mußte aber die Feier in die alte Hauskapelle des Schlosses verlegt werden. Dabei ministrierte der nun 11 Jahre alte Adam zusammen mit seinem Bruder Andreas. Zugegen war auch der damalige evangelische Ortspfarrer Handrick.
Bei der Durchführung des Baugeschehens ergaben sich nach den Aufzeichnungen der Gräfin manche Schwierigkeiten. So war z.B. am Anfang dem Zement von mißgünstiger Seite auf böswillige Weise ein schädigender Stoff beigegeben worden, der in dem aus den böhmischen Brüchen stammenden Sandstein nach gewisser Zeit häßliche Fugen entstehen ließ. Die Gräfin ließ alles bisher Entstandene bis auf die Grundmauern abreißen, die Granitsockel abtragen und dann alles wieder frisch aufbauen. Da der Bauleiter aus Prag nicht ständig in Gaußig sein konnte, übertrug die Gräfin die Überwachung der Arbeiten einem zuverlässigen, ihr wohlgesonnenen Dresdener Baumeister mit dem Namen Gise. Es sollen auch ein Architekt aus einer bekannten Zittauer Baugewerkeschule namens Schramm und ein Baumeister Kaup mitgewirkt haben.
Das Werk schritt dann gut voran. Am Ende des Jahres war der gesamte Dachstuhl fertig. Das Kreuz auf dem kleinen Turm wurde bereits am 3.September 1894 befestigt. In der goldenen Kugel unter ihm sowie im Grundstein liegen Dokumente. Während der ganzen Bauzeit wurde schon vieles zur Innenausstattung der Kapelle und zu ihrem Schmuck herbeigeschafft.
- Die roten Säulen aus Adneter-Marmor als Erb-Geschenk der Kinder (deren Namen Adam, Andreas, Marie-Theres und Amelie in vier Säulen eingraviert sind, die drei Altarfenster aus einer berühmten englischen Glasmalerei-Werkstatt in Birmingham (der die Gräfin die Bilder der dargestellten Heiligen Maria, Josef, Karl Borromäus als Namenspatron des Kapellenstifters zugeschickt hatte);
- der Marmoraltar mit schöner Ornamentik und zwei kleinen, kapitellgekrönten Tragesäulen sowie einer Tischplatte aus fehlerfreiem Carrara-Marmor (ferner mit einem oben runden Baldachin für Monstranz oder Kreuz) als eigenes Geschenk der Gräfin und von der Teplitzer Firma Seidel hergestellt;
- dann der dreiteilige spätgotische Flügelaltar bzw. das Triptychon (damals der gräflichen Familie von der ev. Gemeinde überlassen), das Christus-Mosaikbild außen über der Eingangstür und darüber das Madonnenbild,
- ferner das ikonenartige Bild der Muttergottes als der "Immerwährenden Hilfe" im Innern der Kapelle. Es wurde von der Gräfin aus dem Rheinland mitgebracht und mit allen Weihe- und Ablaßerlaubnissen aus Rom versehen - dort wird das Bild im Original in der Kirche St. Alfonso als wundertätig verehrt. Es ist mit alten Schmucksteinen und diamantenen Votivgeschenken besetzt; Spendernamen sind auf der Rückseite. (Das Bild ist 1998 in den Privatbesitz zurückgenommen worden).
- die schmiedeeiserne Kommunionbank, die Kapellensitzbänke mit Schnitzwerk und
- die Türen (von je einem Tischler aus Gaußig und Bautzen gefertigt) u.a.
Am 24. Mai 1895 wurde ein Glöcklein für die Kapelle feierlich unter dem Geläute der evangelischen Kirchenglocken - es gab ein gutes Verhältnis zwischen der evangelischen Bevölkerung und der katholischen gräflichen Familie - bekränzt und geschmückt eingeholt und einstweilen auf dem Kapellenvorplatz auf einem Gerüst angebracht.
Die Einweihung der Kapelle erfolgte dann feierlich am 28. Mai durch Bischof Wahl unter großer Assistenz. Er konsekrierte den Altar und in ihm wurden Reliquien der hl. Philomena und der Trierer Märtyrer niedergelegt. Am Ende der Weihehandlungen stand die des kleinen Glöckleins, das auf den Namen "Maria-Immaculata" getauft wurde; dabei waren Marie-Theres und Amelie Patinnen. Danach zogen die Geistlichkeit, die Gräfin und die vier Kinder von ihr in Prozession mit dem Sakramentskelch von der alten Hauskapelle zum neuen Gotteshaus hinüber, wo dann der Bischof die erste hl. Messe zelebrierte. Dabei hielten die Grafensöhne Adam und Andreas an den Stufen des Altares Mitra und Hirtenstab. An diesem Tage herrschte das schönste, idealste Wetter, und alle an der Feier Beteiligten konnten sich dann dazu noch an der herrlichen Blütenpracht im Park erfreuen. Die spätere Familie des Grafensohnes Adam, die dann das Schloß bewohnte, bestand aus dem Vater Adam von Schall-Riaucour, der Mutter Maria Rosa, acht Söhnen und einer Tochter; von der Familie lebt niemand mehr.
Nach 1945 wurden Schloß, Kapelle und Park Eigentum der Technischen Universität Dresden. Diese überließ 1951 in einem entsprechenden Vertrag die Kapelle dem Bautzener katholischen Pfarramt zur Nutzung, wobei zwischenzeitlich regelmäßig Gottesdienste gehalten worden waren. Der letzte der dabei hier tätig gewordenen Umsiedlerpriester war der Pfarrer Joseph Jung aus dem schlesischen Glatzer Land. Er wohnte in Gaußig und hielt u.a. an Sonntagen in der Kapelle zwei gutbesuchte Gottesdienste. (Zu seiner Zeit war ich hier verantwortlicher Ministrant und Jugendgruppenhelfer). Pfarrer Jung verzog dann altershalber 1955 ins Kloster St. Marienthal unweit von Zittau.
Danach kamen zum Feiern von Gottesdiensten Geistliche aus Bautzen in die Kapelle, so neben Kaplänen Pfarrer Dr. Jakubasch und später Pfarrer Andritzki. Je einen Besuch statteten uns hier die Bischöfe Heinrich Wienken (der in der Kapelle sogar Firmung hielt) und Dr. Otto Spülbeck ab. Jetzt halten im Wechsel Geistliche aus Bautzen und sog. Diakonatshelfer (auch ein Diakon) jeweils an Sonntagen eine Eucharistiefeier bzw. einen sog. Wortgottesdienst mit Predigt und Kommunionsausteilung. Einen solchen - manchmal auch zwei - hielt ich selbst hier in der Kapelle seit 1969 pro Monat.
Im Herbst 1968 wurde das Dach der Kapelle umgedeckt und ihr Inneres ganzheitlich restauriert. Die Organisation dafür führten Herr Kaplan Josef Kieschnik (jetzt Pfarrer in Kamenz), Herr Franz Bayer aus Dretschen und ich selbst durch;
Damals wurden von anderen katholischen Gemeindemitgliedern und uns viele Arbeitsstunden unentgeltlich verrichtet. Am 17. November 1984 riß ein Sturm den mächtigen Ahorn-Baum neben der Kapelle um, nur ein Stück Stamm blieb stehen. (Die vorher angemahnte notwendige Fällung des Baumes war unterblieben.) Unglücklicherweise fiel ein starker Ast auf die Kapelle und dabei wurden die entsprechende dreieckige Dachfläche, der Sandsteinsims und das Fenster darunter erheblich beschädigt. Das Entfernen der Baumteile, das Roden der Wurzel und die nötigen Reparaturen und Erneuerungsarbeiten erfolgten dann nach längerer Zeit erst im nächsten Jahr.
Zur Zeit wird der Flügelaltar in der Kapelle wegen der Dringlichkeit restauriert. Die Kosten dafür trägt die evangelische Kirchgemeinde. Herr Pfarrer Frey gewann als Restaurator Herrn Krebs, der aus Zittau stammt und jetzt seinen Wohnsitz bei Gießen hat. Das Triptychon stammt aus dem Jahr 1471, war um 1480 als Stiftung des Peter von Gusk in die damalige Gaußiger katholische und dann nach der Reformation evangelische Ortskirche gekommen und verblieb in dieser bis zu ihrer Neuerrichtung 1873.
Ich selbst habe mich in der Kapelle immer wohlgefühlt und führe in ihr nötige Dienste aus. Sehr dankbar können die Gläubigen und andere Besucher der Kapelle sowie ich selbst dem gütigen Gott, der gräflichen Stifterfamilie, allen am Bau Beteiligten und später für das Gotteshaus und in ihm Tätigen sein; von ihm ging viel Segen aus. Gott gebührt Lob und Preis aus dankbarem Herzen für das Bestehen der Schloßkapelle - nun ein volles Jahrhundert lang.

P. Körner