Die Verkehrsentwicklung in Gaußig

Martin Müller 1962:
Die ersten Verkehrszeichen

Wer sich auf eine öffentliche Straße begibt, er mag jung oder alt sein, der weiß im voraus, daß dort Gefahren mancherlei Art auf ihn lauern. Das ist eine Folge des wachsenden Verkehrs.
Vor 80-90 Jahren (also um 1880) waren die Straßen noch ruhiger. Die Kinder tobten auf den Straßen, ohne daß sie gefährdet waren. Die Straße war ihr Spielplatz. Das gefiel dem Gemeindevorstand nicht und der Amtswächter ist auch angewiesen, alle Kinder, welche die Hauptfahrwege als Spielplätze benutzen, von da fortzuweisen. Das geschah im Jahre 1876 und steht vermerkt im Gemeindebuch Seite 136.
Im Jahre 1899 befaßt sich wieder ein Eintrag im Gemeindebuch mit dem Straßenverkehr. Worüber beschwerte man sich damals? Das schnelle Fahren von Fuhrwerken durch den Ort wird gerügt. Und als Sünder, die solches verursachen, sind die Fahrräder aufgetaucht. Wir lesen:
Wegen Schnellfahren von Fuhrwerken und namentlich mit Fahrrädern durch den Ort und um die Ecken sollen an geeigneten Stellen Warnungstafeln angebracht werden.
Das waren also die ersten Verkehrszeichen in Gaußig im Jahre 1899.

(Der erste Autobesitzer war Graf Schall-Riaucour. Er hatte einen eigenen Fahrer, wohl aus der Verwandtschaft der Frau aus Böhmen.
1929: Bäckermeister Johann Bjarsch:
  Weiter bei M. Müller:
Die fortschreitende Motorisierung hat ein Ansteigen der Unfälle mit sich gebracht. Ja, in den ersten 11 Monaten des Jahres 1961 hatte der Kreis Bautzen die traurige Ehre, an der Spitze der DDR zu marschieren. Es werden darum alle Anstrengungen unternommen, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Da die Volkspolizei diese Aufgaben allein nicht meistern kann, wurde ein Verkehrsaktiv gebildet, das hier helfend eingreift (Viele Jahre war dabei das Ehepaar Pietsch, wohnhaft in der Drogerie, sehr aktiv. R.E.). Seit 1959 finden sog. Verkehrsteilnehmerschulungen statt, in denen auf Fehler hingewiesen wird. Auch um den technischen Zustand der Fahrzeuge kümmert sich das Aktiv und veranstaltete 1962 erstmalig sog. technische Überprüfungen. Bei dieser Gelegenheit konnte der derzeitige Bestand an Motorfahrzeugen festgestellt werden. In Gaußig (Ortsteile eingeschlossen) waren im Juni 1962 vorhanden:
Pkw                       26      Das Volksgut besaß:
Lkw                          5      Pkw 1
Kräder                  116      Lkw 2
Moped                  102     Kräder 2
Zugmaschinen          3     Moped 1
                                         Zugmaschinen 3
Insgesamt sind also 261 Fahrzeuge vorhanden. Auffällig und folgerichtig ist, daß mit dem Anwachsen der Zahl der Autos auch die Zahl der Autogaragen ansteigt. Die meisten Garagen sind industriell hergestellte Wellblechgaragen (Hier irrt der Chronist, denn die meisten waren aus Betonfertigteilen mit Blechschwingtor. R.E.)

Eine Zählung der Fahrzeuge im Jahre 1957 ergab 4 Lkw, 8 Pkw und 55 Kräder. Die Mopeds konnten damals nicht erfaßt werden. Die Zahl der Fahrzeuge ist also immens gestiegen, und der Bedarf, besonders an Personenwagen, ist längst noch nicht gedeckt. Auffällig ist, wie sich das Moped eingebürgert hat. Die auf einem Moped zum Einkauf kommende Bäuerin ist eine Erscheinung, die nicht mehr auffällt. Und wenn sich die Bauern zu gemeinsamer Arbeit auf dem Felde einfinden, stehen am Wege sicher einige Mopeds neben Fahrrädern oder Motorrädern. Drei Schüler der 10. Klasse kommen mit dem Moped zur Schule. Allerdings hat Gaußig noch keine Tankstelle. Die beiden früheren Tankstellen bei Karl Schneider und Walter Pietsch (und eine weitere an der Drogerie von Max Kasper, später Gaststätte Kusch) sind nach 1945 noch nicht wieder eröffnet worden. Die Fahrzeugbesitzer sind also auf auswärtige Tankstellen angewiesen. Nur das Volksgut hat für den Eigenbedarf eine Tankstelle.
Das Verkehrsaktiv kümmert sich ferner um die ordnungsgemäße Aufstellung von Verkehrszeichen. Hoffentlich gelingt es, die Unfallquote mehr und mehr zu senken.
Neben den genannten Fahrzeugen gibt es noch den Omnibus, abgekürzt Bus. Bereits vor dem Kriege bestand die Linie Gaußig-Bautzen, die schon damals nach Naundorf weitergeführt wurde. Im Kriege wurde sie eingestellt. Seit 1953 verkehrt sie wieder regelmäßig. Täglich verkehren drei Busse nach Bautzen und wieder zurück. An Sonnabenden erhöht sich die Zahl auf vier. Seit Mai 1962 besteht eine neue Buslinie von Gaußig nach Bischofswerda und wieder zurück. Die Linie führt über Naundorf, Tröbigau, Schmölln. Eine Fahrt nach Bischofswerda kostet 95 Pfg., genau so viel wie eine solche nach Bautzen. Jeder empfindet diese neue Linie als einen Fortschritt.
  Neben diesen öffentlichen Bussen verkehren noch sog. Schichtbusse nach Großpostwitz-Hainitz, Wilthen und Kirschau. Mit ihnen werden Arbeiter befördert, die wegen der Schichtarbeit keine Anschlüsse hätten.
Noch eine dritte Art von Bussen berührt Gaußig als Mittelpunkt. Es sind die Schulbusse. Die Gaußiger Schule hat sich zur Zentralschule entwickelt. Infolgedessen mußten für die Schulkinder aus weiter entfernten Orten Fahrmöglichkeiten geschaffen werden. Zur Zeit werden Kinder aus Naundorf, Drauschkowitz und Dretschen/Arnsdorf geholt und wieder zurückgebracht. Außerdem kommen viele Kinder mit dem Fahrrad zur Schule. Der Fahrradstand an der Schule reicht nicht aus, und so stellen viele Kinder ihre Räder in der Nachbarschaft ein.
Daß 60 - 70 Räder während der Unterrichtszeit abgestellt werden, ist keine Seltenheit. Vom Trittroller bis zum Sportrad sind alle Arten vertreten. Das Fahrrad ist das beliebteste Kinderfahrzeug geworden. Kennen Sie das Schnaderhüpferl aus vergangenen Tagen: Vom Rad zum Motorrad ist jedem sein Ziel, und wenn er das hat, dann kommt's Automobil.
Auffällig ist die Vorliebe für den Roller, sowohl für den Mopedroller als auch für seine größeren Brüder. Es wird nur jeweils eine Type herausgebracht. Das erste Fahrzeug dieser Art war der Pitty. Er hatte eine große Haube über dem Vorderrad. Die zweite Type, das Wiesel, wich von dieser Bauart ab. Zur Zeit wird der Berliner Roller geliefert, stärker und gefälliger im Aussehen. Neueste Type ist Troll. Konkurrenz ist keine vorhanden. Als Einfuhr aus den sozialistischen Ländern kommt höchstens Lieferung aus der CSR in Frage. Jawa - schnell, viele Unfälle, kleine Räder.
Am 8.8.1963 fand im Gasthofsaale eine erste öffentliche Gerichtsverhandlung statt. Es handelte sich um eine Verhandlung wegen Verkehrsvergehen. Der Angeklagte, der trotz Entzug der Fahrerlaubnis mit seinem Motorrad gefahren war, erhielt 6 Wochen Gefängnis.